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Fernbeziehung

von Bertil Wenger, Justin Burke

Die ­NATO und Australien

Niemand in Canberra wünscht oder erwartet von der NATO Sicherheitsgarantien nach Art von Artikel 5. Da Australien jedoch in einer Region liegt, die mit dem zunehmenden Expansionsdrang Chinas konfrontiert ist, könnte es von einer engeren Partnerschaft sehr profitieren. Denn wenn China eines fürchtet, dann Bündnisse.

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Einführung

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stand in Australien außer Frage, dass Europas Kriege auch Australiens Kriege waren. Im Jahr 1942 aber gab es einen bahnbrechenden Moment, als sich Premierminister John Curtin offen der Autorität des britischen Premierministers Winston Churchill widersetzte und der australischen siebten Division befahl, in ihr Heimatland zurückzukehren. Die Entscheidung war Teil einer allgemeineren Entwicklung: Australien setzte für seine äußere Sicherheit nicht mehr auf das Vereinigte Königreich, sondern auf die Vereinigten Staaten von Amerika. Im Kalten Krieg machten Australien und die europäischen NATO-Mitglieder ganz unterschiedliche Erfahrungen und hatten nur wenig Kontakt zueinander, obwohl beide mit den USA einen mächtigen gemeinsamen Verbündeten hatten.

Doch wie entfernte Familienmitglieder, die durch eine Tragödie zusammengeführt werden, kamen Australien und die NATO durch den Krieg in Afghanistan zum ersten Mal dauerhaft miteinander in Kontakt. Heute sind die wachsenden Gefahren, die von einem revisionistischen China im indopazifischen Raum ausgehen, und ihre möglichen Folgen für eine vernetzte Welt der Grund für eine noch engere Partnerschaft zwischen Australien und der NATO.

In Australien gibt es sicherlich Skepsis und auch Kritik gegenüber der NATO. Niemand bietet oder fordert etwas, das den Sicherheitsgarantien nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrags entspricht. Doch insgesamt wird die wachsende Partnerschaft als etwas angesehen, das im Einklang mit Australiens anderen Bündnissen steht und der Erhaltung des Friedens dient. Und wenn das Engagement fortgesetzt wird und man etwas Voraussicht und Kreativität zeigt, könnte sie im Falle einer Krise von unschätzbarem Wert sein.

 

Australien und die NATO: Ein Blick in die Geschichte

Abgesehen von ungewöhnlichen Beispielen, wie dem in den frühen 1950er-Jahren in Malta stationierten Geschwader Nr. 78 der Royal Australian Air Force, das an zahlreichen NATO-Übungen im Mittelmeerraum, im Nahen Osten und in Mitteleuropa teilnahm, bedeutete „die grundsätzlich unterschiedliche geografische Lage Australiens und des NATO-Gebiets, dass die Aktivitäten des einen für den anderen lange Zeit kaum von Bedeutung waren“, schreibt Stephan Frühling.

Die Entsendung australischer Spezialeinheiten nach Afghanistan im Jahr 2005 beschleunigte die Aufnahme von Beziehungen zur NATO. Australien wurde 2006 zu einem „Kontaktland“. Damit bekam es einen informellen Status, der die Teilnahme an ausgewählten Aktivitäten im Rahmen des Formats „Partnerschaft für den Frieden“ ermöglichte. Doch schon 2007 wurden Probleme wie der fehlende Zugang Australiens zu NATO-Planungsdokumenten zunehmend als störend empfunden. „Es mag sein, dass wir das meiste davon indirekt über unsere Freunde und Verbündeten in den Vereinigten Staaten erhielten, aber es ergab für mich keinen Sinn, dass wir unsere jungen Leute auf das Schlachtfeld in Afghanistan schickten, wo sie möglicherweise sterben würden, und dass man uns keinen Platz am Planungstisch einräumte“, sagte der damalige Verteidigungsminister Joel Fitzgibbon.

Bis 2012 hatten sich die Beziehungen zwischen Australien und der NATO bis zur Verabschiedung einer „Gemeinsamen Politischen Erklärung“ hin weiterentwickelt, die auch die Ernennung eines australischen Botschafters bei der NATO umfasste (der in der Praxis auch als Botschafter in Belgien und bei der Europäischen Union fungiert). Darauf folgte 2013 ein „Individuelles Partnerschafts- und Kooperationsprogramm“, das zu einem „Individuell zugeschnittenen NATO-Australien-Partnerschaftsprogramm 2023–2026“ erweitert wurde. Zudem nahm Australiens Premierminister Anthony Albanese neben den Regierungschefs der anderen sogenannten Asia-Pacific 4 (AP4) – Japan, Südkorea und Neuseeland – seit Madrid 2022 an den NATO-Gipfeltreffen teil.

Die NATO ist Gegenstand von Elitendebatten, die mitunter sehr hitzig geführt werden.

 

Wahrnehmung der NATO

Es gibt nur wenige Erkenntnisse darüber, was die australische Öffentlichkeit über die NATO denkt. Das Lowy Institute führt seit 2005 jährlich Umfragen über die Wahrnehmung ausländischer Staaten, Staatsoberhäupter und Themen durch, hat dabei aber die NATO weder direkt noch indirekt je erwähnt. Dies lässt vielleicht implizit den Schluss zu, dass die Organisation im Bewusstsein der australischen Öffentlichkeit keine Rolle spielt.

Die NATO war und ist jedoch Gegenstand von Elitendebatten, die mitunter sehr hitzig und nicht zwangsläufig entlang parteipolitischer Linien geführt werden. Im vergangenen Jahr bezeichnete der frühere Premierminister Paul Keating, der Anfang der 1990er-Jahre eine Labour-Regierung führte, den NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg als „totalen Deppen“ und fügte hinzu: „Stoltenberg ist von seinem Instinkt und seiner Politik her einfach ein wandelnder Fehltritt.“ Konkret kritisierte Keating die geplante Eröffnung eines NATO-Verbindungsbüros in Tokio im Vorfeld der Reise des derzeitigen Labour-Premierministers Anthony Albanese zum NATO-Gipfel in Vilnius. „Die Europäer haben sich fast 300 Jahre lang gegenseitig bekämpft und uns in den vergangenen 100 Jahren zwei Weltkriege beschert“, sagte Keating. „Dieses bösartige Gift nach Asien zu importieren, wäre so, als würde Asien sich freiwillig die Pest zuziehen. Angesichts der jüngsten Entwicklung und der langjährigen und latenten Armut Asiens würde jegliche Hoffnung durch den Militarismus Europas – und durch den von den Vereinigten Staaten angestachelten Militarismus – zunichtegemacht.“ Seine Äußerungen lassen sich als repräsentativ für eine ältere Generation progressiver Politiker einordnen, deren Weltbild durch eine größere Nähe zu den Weltkriegen und das Gefühl geprägt war, dass australisches Blut auf europäischen Schlachtfeldern wiederholt – manchmal mutwillig – aufgrund übertriebener Unterwürfigkeit und losgelöst von Australiens eigenen nationalen Interessen vergossen worden war.

Staaten, die sich vom europäischen Kolonialismus befreien mussten, betrachten die NATO nicht unbedingt als uneingeschränkten Freund.

Einige konservative Politiker stimmten Keating in der Sache zu, ohne seinen Tonfall zu teilen. Der ehemalige Hohe Kommissar für das Vereinigte Königreich, liberale Senator und Generalstaatsanwalt George Brandis schrieb, dass eine stärkere strategische Integration zwar eine notwendige und unvermeidliche Entwicklung sei, aber etwas ganz anderes als die Ausweitung der NATO auf die Region, die, wie er argumentierte, höchstwahrscheinlich dazu führte, dass China gegenüber bündnisfreien Ländern wie Indien und Indonesien an Einfluss gewänne.

Die Verknüpfung jeglicher Form von NATO-Zusammenarbeit mit Artikel 5 ist eine Verkürzung und fördert implizit die von russischen Propagandisten wiederholte Vorstellung, dass die NATO-Beistandsklauseln eine Art Provokation darstellen. Andere australische Analysten haben betont, dass niemand Sicherheitsgarantien nach Art von Artikel 5 im indopazifischen Raum vorschlage, und dass dies von dem wichtigen Ziel der NATO ablenke, China zu signalisieren, dass die europäischen Staaten einer chinesischen Gewaltanwendung in Taiwan oder anderswo nicht gleichgültig gegenüberstehen würden.

Premierminister Anthony Albanese erklärte seinerseits auf dem NATO-Gipfel von Vilnius, Australien setze auf Partnerschaften, welche die Stabilität in der Welt förderten. „Der Schwerpunkt (der NATO) liegt zwar auf dem Nordatlantik und auf Europa, aber viele der Grundsätze sind weltweit anwendbar. Die russische Invasion in der Ukraine erinnert uns daran, dass etwas, das in einem Teil der Welt geschieht, Auswirkungen auf die ganze Welt hat.“ Und er fügte hinzu, Stoltenberg sei ein „Freund Australiens“. Albaneses Teilnahme an den Gipfeltreffen in Vilnius und im Jahr davor in Madrid sowie seine voraussichtliche Teilnahme am Gipfeltreffen zum 75-jährigen Jubiläum in Washington D.C. in diesem Jahr haben gezeigt, dass das Engagement für diese Partnerschaft wächst.

Australien ist sich der Tatsache bewusst, dass außerhalb der AP4-Staaten liberal-demokratische Werte und Grundsätze in der indopazifischen Region nicht überall in gleichem Maße Beachtung finden, und dass die Einstellungen zur NATO unterschiedlich sind. Insbesondere Staaten, deren Identität untrennbar mit der Befreiung vom europäischen Kolonialismus verbunden ist, betrachten die NATO nicht unbedingt als uneingeschränkten Freund. Bedauerlicherweise sind viele Bürger dieser Staaten sogar empfänglich für die Darstellungen der chinesischen Regierung, welche die NATO als kriegslüstern, fremd und in der Region unerwünscht darstellen.

 

Australiens Allianzen

Das wichtigste Bündnis Australiens ist der zwischen Australien, Neuseeland und den Vereinigten Staaten im Jahr 1951 unterzeichnete ANZUS-Vertrag. Neuseeland wurde zwar Mitte der 1980er-Jahre suspendiert, weil es nuklear betriebenen oder bewaffneten US-Marineschiffen den Zugang zu Häfen verweigert hatte, aber Australien und die USA sind nach wie vor einer Sicherheitsgarantie verpflichtet, die als „Artikel 3“ bezeichnet wird: „Die Vertragsparteien konsultieren einander, wenn nach Auffassung einer der Parteien die territoriale Integrität, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Vertragsparteien im Pazifik bedroht ist.“

Obwohl Australien und die USA seit 1918 in jedem größeren Krieg an der Seite des jeweils anderen gekämpft haben, was umgangssprachlich als „100-jährige Kameradschaft“ bezeichnet wird, hat sich der damalige Premierminister John Howard erst nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zum ersten Mal formell auf diesen Vertrag berufen.

In jüngster Zeit hat sich Australien um minilaterale Sicherheitsabkommen bemüht.

Kennzeichnend für die vertraglichen Beziehungen sind die jährlichen Treffen der Verteidigungs- und Außenminister beider Länder (AUSMIN), die abwechselnd in den USA und in Australien stattfinden, zahlreiche militärische Übungen – von der US-geführten Seekriegsübung „Rim of the Pacific“ (RIMPAC) bis zur alle zwei Jahre stattfindenden gemeinsamen Übung „Talisman Sabre“ –, verschiedene gemeinsam betriebene militärische Aufklärungseinrichtungen wie Pine Gap und seit zehn Jahren eine rotierende, in Darwin stationierte Einheit des United States Marine Corps.

Jährliche Umfragen des Lowy Institute zeigen, dass die australische Öffentlichkeit das Bündnis mit den USA in den vergangenen zwei Jahrzehnten stets in hohem Maße unterstützt hat. Mehr als 80 Prozent der Befragten halten das Bündnis für sehr oder ziemlich wichtig.

Die entscheidenden Gemeinsamkeiten von ANZUS und NATO liegen in der zentralen Rolle der USA und in der Langlebigkeit beider Bündnisse im historischen Vergleich. Für europäische Beobachter lassen die geografischen Grenzen der Zusicherungen im ANZUS-Vertrag Ähnlichkeiten mit Artikel 6 des Nordatlantikvertrags erkennen, wobei der entscheidende Begriff „konsultieren“ deutlich hinter den Garantien von Artikel 5 des Nordatlantikvertrags zurückbleibt. „Australien war sich durchaus bewusst, dass sein Bündnis mit den Vereinigten Staaten weniger institutionalisiert, weniger umfassend und wohl auch weniger verlässlich war als die NATO“, schreibt Stephan Frühling. Dabei wird gleichzeitig darauf hingewiesen, dass es um ANZUS bisher weitaus weniger Aufsehen gegeben habe als um die NATO. „Im Vergleich zu den unruhigen Gewässern der NATO beispielsweise, wo es fast jedes Jahr eine Krise zu geben scheint, war ANZUS meist so ruhig wie ein Mühlenteich“, so die australische Wissenschaftlerin Coral Bell.

Ebenso wichtig ist wohl die Mitgliedschaft Australiens in der seit Langem existierenden Geheimdienstallianz der Five Eyes (FVEY), zu der neben Australien die USA, das Vereinigte Königreich, Kanada und Neuseeland gehören. Dabei handelt es sich um einen bekannten und dennoch wenig untersuchten Zusammenschluss.

In jüngerer Zeit hat Australien wichtige minilaterale Sicherheitsvereinbarungen abgeschlossen. AUKUS ist eine trilaterale Sicherheitspartnerschaft, die 2021 zwischen Australien, dem Vereinigten Königreich und den USA vereinbart wurde, um die Anschaffung von atombetriebenen U-Booten für die australische Marine zu ermöglichen und gemeinsam eine Reihe fortschrittlicher Verteidigungstechnologien von Hyperschallraketen bis zu Quantencomputern zu entwickeln. Dieses Abkommen sorgte weltweit für Schlagzeilen – nicht nur, weil dadurch ein problembehafteter U-Boot-Vertrag mit dem französischen Unternehmen Naval abgelöst wurde, sondern auch, weil es von den drei Nationen auf höchster politischer Ebene verkündet wurde und eine unmissverständliche Botschaft an China enthielt, das zum damaligen Zeitpunkt massiven wirtschaftlichen Druck auf Australien ausübte. Seitdem wurden erhebliche Fortschritte erzielt, insbesondere durch die Zustimmung des US-Kongresses zur Übergabe von drei U-Booten der Virginia-Klasse (zwei in Betrieb befindliche und ein neues) an Australien in den frühen 2030er-Jahren. Doch die Herausforderungen, die mit dem Besitz von Nukleartechnologie, der Fachkräfteausbildung und der Infrastruktur verbunden sind, sind gewaltig.

AUKUS ist weder ein neuer Vertrag, wie oft fälschlicherweise behauptet wird, noch enthält das Abkommen gegenseitige Beistandsverpflichtungen. Richtig ist jedoch, dass die australischen Bündnisse ANZUS, FVEY und sogar die langjährigen verfassungsrechtlichen Beziehungen Australiens zum Vereinigten Königreich alle zu dem tiefen Vertrauen beigetragen haben, das die Zusammenarbeit im Rahmen von AUKUS ermöglicht hat. Einige US-amerikanische Politiker haben AUKUS gleichwohl als den Beginn einer NATO-„Erweiterung“ im indopazifischen Raum bezeichnet, darunter auch Senatorin Tammy Duckworth, Mitglied des einflussreichen Senatsausschusses für Streitkräfte, die sagte, die NATO-„Erweiterung“ habe „angesichts unseres erfolgreichen AUKUS-Abkommens zwischen dem Vereinigten Königreich, Australien und den Vereinigten Staaten bereits begonnen“. Dies ist wahrscheinlich nur in einem sehr allgemeinen Sinne zutreffend.

Der Quadrilateral Security Dialogue (QUAD), dem auch Japan, Indien und die USA angehören, ist eine sehr bemerkenswerte Initiative. Die Ursprünge liegen in der maritimen Zusammenarbeit, die während des Tsunamis im Indischen Ozean 2004 entstand. Zwar pausierte die Zusammenarbeit zwischen 2008 und 2017 aufgrund des australischen und bis zu einem gewissen Grad auch des indischen Widerwillens, sie wurde jedoch wiederbelebt (und wird zuweilen auch als Quad 2.0 bezeichnet) und zu Gipfeltreffen auf Führungsebene und den jährlichen multilateralen Marineübungen „Malabar“ ausgebaut.

Im deutlichen Gegensatz zur NATO handelt es sich nicht um ein Bündnis. Es gibt keine Gründungsurkunden, kein Hauptquartier, kein Sekretariat und keinen festen Zeitplan. (Im vergangenen Jahr wurde eine „Visionserklärung“ veröffentlicht.) Erst recht gibt es keine ausdrücklichen Sicherheitsgarantien zwischen den beteiligten Parteien. Dennoch handelt es sich um ein flexibles Instrument, um auf Chinas wachsende Macht und sein aggressives Verhalten in der Region zu reagieren. Der verstorbene ehemalige japanische Premierminister Shinzo Abe nannte es einen „demokratischen, asiatischen Sicherheitsdiamanten“ als Antwort auf chinesische „Zwangsmaßnahmen“ und deutete damit an, dass es sich um eine Gruppe handelt, die unter äußerem Druck noch enger zusammenrücken könnte.

In Anerkennung der seit Langem verfolgten blockfreien Außenpolitik Indiens hat sich die QUAD mit eher unkonventionellen Sicherheitsthemen wie Klimawandel, kritischen und neu entstehenden Technologien und „öffentlichen Gütern“ wie der Koordinierung von Impfstoffen befasst. Es überrascht nicht, dass die Vierergruppe von China heftig kritisiert wurde: Sie sei eine „asiatische NATO“. Viele Historiker verweisen jedoch auf das Scheitern des antikommunistischen kollektiven Verteidigungspaktes, der SEATO (Southeast Asia Treaty Organisation) 1944 bis 1977, der nach dem Vorbild der NATO aufgebaut war. Dieser Zusammenschluss dient als Beispiel dafür, dass solche Vorstellungen in dieser äußerst komplexen Region zum Scheitern verurteilt sind.

In praktischer Hinsicht kann Australien von seiner Partnerschaft mit der NATO stark profitieren.

Es besteht kein konzeptioneller Widerspruch zwischen den auf die USA ausgerichteten Verteidigungsabkommen Australiens, dem Austausch nachrichtendienstlicher Erkenntnisse, fortschrittlicher Technologie und der minilateralen, demokratischen Zusammenarbeit auf der einen sowie der verstärkten Partnerschaft mit der NATO auf der anderen Seite. Gegenseitige Sicherheitsgarantien wären eine andere Sache. Die Synergieeffekte und Chancen in einer solchen Partnerschaft werden im Folgenden erörtert.

 

Was erwartet Australien von der NATO?

In praktischer Hinsicht kann Australien von seiner wachsenden Partnerschaft mit der NATO stark profitieren. Es gibt Herausforderungen, vor denen Australien im Rahmen seiner Bündnispolitik stehen könnte, bei denen die NATO über langfristige, praktische Erfahrungen verfügt, etwa in Bezug auf gemeinsame strategische Kommandos der Verbündeten, gemeinsame Verteidigungsplanungsprozesse, Streitkräfteaufwuchsverfahren und Ähnliches. Und auch jenseits von Brüssel besteht ein großes Potenzial für ein australisches Engagement, zum Beispiel in den einschlägigen NATO-Exzellenzzentren.

Diese praktischen Aspekte könnten strategische Vorteile mit sich bringen. Manche argumentieren, dass diese Art der Zusammenarbeit und der intensiven Einbindung die Fähigkeit Australiens verbessern wird, zu wissen, worum es in der NATO bitten kann und wen es darum bitten kann. So könnte beispielsweise im Falle eines Konflikts in der Straße von Taiwan, im Südchinesischen oder Ostchinesischen Meer eine maritime Rückendeckung durch die NATO im westlichen Indischen Ozean von Nutzen sein. Durch Sicherheitskrisen kann sich der unverrückbar erscheinende politische Konsens innerhalb der NATO verschieben, wovon wiederum flexible Partner profitieren können. Unter französischen Experten herrscht beispielsweise eine gewisse Uneinigkeit darüber, ob Artikel 5 französisches Hoheitsgebiet wie Neukaledonien einschließt. Wie die Berufung auf den ANZUS-Vertrag durch Premierminister Howard gezeigt hat, kann es in Krisenzeiten zu einer Neuauslegung bestimmter Aspekte kommen. Im Falle einer Sicherheitskrise auf den Pazifikinseln könnte schon die Mehrdeutigkeit dieses Status abschreckend wirken.

In strategischer Hinsicht schätzt Australien, wie Premierminister Albanese unterstrich, die NATO als stabilen Partner. Der russische Einmarsch in die Ukraine hat vielen die Verflechtung des indopazifischen und des europäischen Raums vor Augen geführt. Das bedeutet, dass die europäischen Staaten entweder einzeln oder in einigen Fällen als Europäische Union und in anderen Fällen als Teil der NATO eine sehr wichtige Rolle spielen, um China zu signalisieren, dass die regelbasierte Weltordnung und offene Seeverbindungen im indopazifischen Raum auch für Europa von zentralem Interesse sind.

Die Tatsache, dass dieses Interesse auch während der russischen Invasion der Ukraine immer wieder deutlich gemacht wurde, ist lobenswert. Passend dazu hat auch Australien eine bescheidene Rolle bei der Bereitstellung von Hilfe, militärischer Ausrüstung und militärischer Ausbildung für die Ukraine gespielt, um sein Engagement für die Freiheit und Unabhängigkeit der Ukraine von russischem Zwang zu signalisieren. Die australische Erwartung, dass diese Unterstützung im Falle einer Verschlechterung des sicherheitspolitischen Umfelds im indopazifischen Raum zu Gegenleistungen seitens der NATO-Mitgliedstaaten führen würde, spielt hierbei sicher eine erwähnenswerte Rolle.

Ab einem bestimmten Punkt bedeutet eine verstärkte NATO-Präsenz im indopazifischen Raum jedoch zwangsläufig, dass Ressourcen von den europäischen Schauplätzen abgezogen werden müssen. Da viele europäische NATO-Mitglieder noch nicht die geforderten zwei Prozent des BIP für die Verteidigung ausgeben (Australien nähert sich 1,9 Prozent), sind die Vereinigten Staaten gezwungen, sich stärker zu engagieren und mehr zu investieren. Diese US-Ressourcen könnten andernfalls im indopazifischen Raum eingesetzt werden. Wie der verstorbene australische Konteradmiral James Goldrick schrieb, „begrüßt Australien die aktive Rolle der europäischen Mächte im indopazifischen Raum und die regelmäßige Präsenz europäischer Seestreitkräfte in der Region. Ein kohärenterer geostrategischer Ansatz würde jedoch bedeuten, dass Europa seine Marine- und Militäraktivitäten auf Europa konzentriert und dort auch verstärkt, während die Vereinigten Staaten und andere indopazifische Mächte sich weiter reorganisieren, um ein Gegengewicht zu China zu schaffen“. Mit anderen Worten: Je mehr Verantwortung die Europäer für ihre eigene Verteidigung übernehmen, desto besser ist es für Australien.

Niemand kann die epochale Herausforderung des Aufstiegs Chinas ohne Freunde und Verbündete bewältigen.

 

Fazit

Es mag für europäische Beobachter überraschend sein, dass die Beziehungen Australiens zur NATO noch relativ jung sind. Natürlich hat es im Laufe der Jahre viele militärische Kontakte außerhalb der NATO gegeben, nicht zuletzt die von Australien geleitete INTERFET-Mission zur Stabilisierung Osttimors von 1999 bis 2000, an der viele europäische Streitkräfte beteiligt waren. Insgesamt haben die vielen gemeinsamen Werte der liberalen Demokratien vielleicht dazu geführt, dass die institutionalisierten Verbindungen zwischen den beteiligten Staaten eher vernachlässigt wurden, auf der anderen Seite aber auch entbehrlich waren.

Die Herausforderungen, vor denen Australien steht, wenn es sich mit der NATO – einer Organisation, die ihresgleichen sucht – auseinandersetzen und sie verstehen will, sollten nicht außer Acht gelassen werden. Einige der damit verbundenen Aspekte und Prozesse sind sogar hochkomplex. Aber die Vorteile eines solchen erfolgreichen Engagements könnten erheblich sein.

Dennoch muss die NATO für Australien stets eine „Und“-Option und nicht eine „Oder“-Option sein. Das bedeutet, dass die Partnerschaft mit der NATO niemals Australiens facettenreiche Sicherheitsbeziehungen zu den Vereinigten Staaten (ANZUS, FVEY, AUKUS und über die QUAD) ersetzen kann. Genauso wenig darf sie zulasten des Verständnisses von und der Beziehungen mit Australiens unmittelbarer Nachbarschaft gehen. Wie Sam Roggeveen in seinem kürzlich erschienenen Buch richtig feststellt, ist letztlich keine andere Nation für Australiens Verteidigung von größerer Bedeutung als Indonesien: eine junge Demokratie mit fast 275 Millionen Einwohnern, die größte muslimische Nation der Welt und ein Archipel, das jeder Gegner durchqueren müsste, um Australien zu bedrohen.

Australien sollte auch darüber nachdenken, wie die dort teils schonungslos geführten Debatten über die NATO und persönliche Angriffe auf deren Vertreter bei seinen europäischen Freunden ankommen. Zweifellos gilt es für Australien, einen klaren Blick auf seine historischen Erfahrungen und Interessen zu haben. Aber eine Nation, die mit ihrem Erbe und ihrer geografischen Lage, ihrer Besiedlung durch die Europäer und ihrer multiethnischen Zukunft im Reinen ist, muss in der Lage sein, mit Nationen aller Art selbstbewusster und ohne Groll umzugehen.

Dabei ist stets im Blick zu behalten, dass niemand die epochale Herausforderung des Aufstiegs Chinas ohne Freunde und Verbündete bewältigen kann. Chinas aggressives Verhalten gegenüber allem, was im indopazifischen Raum auch nur entfernt an die NATO erinnert, ist ein deutliches Indiz dafür, dass das Land Bündnisse am meisten fürchtet und es stattdessen vorzieht, auf bilateraler Ebene Druck auf kleinere Staaten auszuüben. „China ist ein großes Land und andere Länder sind kleine Länder, das ist einfach eine Tatsache“, sagte der hochrangige Diplomat Yang Jiechi im Juli 2010. In diesem Zusammenhang ist die Partnerschaft und Zusammenarbeit Australiens mit der NATO ein wertvolles Gut, das es zu schätzen gilt.

– übersetzt aus dem Englischen –

Dieser Beitrag enthält Informationen aus einer Expertenrunde im Dezember 2023 in Canberra, die von der KAS AUS nach Chatham House-Regeln einberufen wurde und für die sich die Autoren bedanken.

 


 

Justin Burke ist leitender politischer Berater am National Security College der Australian National University in Canberra. Zudem ist er Non-Resident Fellow der Abteilung für Maritime Strategie und Sicherheit des Instituts für Sicherheitspolitik (ISPK) an der Universität Kiel.

 


 

Bertil Wenger ist Leiter des Regionalprogramms Australien und Pazifik der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS AUS).


 

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