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Länderberichte

Korea: Weitere Eskalation oder Atempause?

von Stefan Samse, Dr. HyeKyung Lee

Zwischenbericht zur Lage auf der koreanischen Halbinsel

Aus Sicht des Regimes von Kim Jong-un ist die Auseinandersetzung mit den USA wie der Kampf von „David gegen Goliath“. Und die Zwischenbilanz fällt aus der strategischen Sicht von „David“ Mitte August gar nicht so schlecht aus.

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Wachposten an der Grenze zwischen Süd- und Nordkorea | © Dickson Phua / Flickr / CC BY-NC-ND 2.0 © Dickson Phua / Flickr / CC BY-NC-ND 2.0
Wachposten an der Grenze zwischen Süd- und Nordkorea | © Dickson Phua / Flickr / CC BY-NC-ND 2.0

Zudem ist es ihm gelungen, die Krise weiter zu vergrößern und den Konflikt auf die Weltbühne zu heben. Je feindseliger sich China und die USA gegenüberstehen, desto besser ist das für Kim Jong-un. Aktuell zum Beispiel bei Wirtschaft und Handel. Ein weiterer Parameter sind die Nordkorea-Sanktionen der Vereinten Nationen, die China in entscheidenden Teilen nicht wirksam werden lässt. Schließlich ist Peking auch Chefkritiker der gemeinsamen amerikanisch-südkoreanischen Großmanöver, die traditionell in der zweiten Augusthälfte abgehalten werden. Kim Jong-un kann also eigentlich ganz zufrieden sein.

Die nordkoreanische Psyche

Die aktuelle nordkoreanisch-amerikanische Auseinandersetzung hat eine lange Vorgeschichte. Ein Beispiel aus den späten 1960er Jahren, das Schicksal der Besatzung des amerikanischen Marineschiffes „USS-Pueblo“, kann helfen, die nordkoreanische Denkweise zu verstehen.

Der amerikanische Marineaufklärer wurde im Januar 1968 nach einem Feuergefecht mit der nordkoreanischen Marine in den nordkoreanischen Hafen Wonsan geschleppt. Die Besatzungsmitglieder wurden in ein Gefangenenlager gebracht und mutmaßlich dort gefoltert. In den folgenden 11 Monaten wurden 29 lange Verhandlungsrunden zwischen nordkoreanischen und amerikanischen Vertretern angesetzt, um die Freilassung der über 80 Besatzungsmitglieder zu erreichen. Die USA haben diese am Ende teuer erkaufen müssen – ein Sieg, den die nordkoreanische Propaganda bis heute ausschlachtet. Das Faustpfand hat sich aus nordkoreanischer Sicht also bezahlt gemacht - harte Verhandlungen mit Erpressungspotential.

Als im August 2003 die erste Runde der Sechs-Parteien-Gespräche über das nordkoreanische Atomprogramm in Peking begann, folgten die nordkoreanischen Vertreter einer ähnlichen Choreographie. Denn sie merkten, wie stark ihre Position war und wie viele Möglichkeiten ihnen das Atomprogramm am Verhandlungstisch eröffnete. Kim Jong-il, Kim Jong-uns Vater, kannte die Zusammenhänge internationaler Politik, hatte deren Mechanismen verinnerlicht. Sein Sohn ist zwar ein gänzlich anderer Typ; Strategie und Taktik hat er jedoch von seinem Vater übernommen.

Die aktuelle Bedrohung der US-Pazifikinsel Guam ist lediglich eine weitere Variante dieser bekannten Vorgehensweise. In der Vergangenheit habe der Norden, so südkoreanische Medien, Drohungen gegen die USA in der Regel allgemein formuliert. Die ausdrückliche Benennung des Gebietes um Guam als mögliches Ziel für einen nordkoreanischen Militärschlag sei außergewöhnlich und lasse aufhorchen. So wurde auch der erste Atomtest 2006 im Vorfeld präzise angekündigt - und niemand habe dem Glauben geschenkt.

Doch welches strategische und taktische Ziel verfolgt Kim Jong-un? Mit der neuen Langstreckenrakete Hwasong-14, die nach Expertenmeinung den nordamerikanischen Kontinent erreichen kann, sollte den USA imponiert werden. Pjöngjang behauptet, dass beide Tests dieses Typs erfolgreich gewesen seien. Aus der Sicht des Regimes ist damit das Ziel einer Anerkennung als Nuklearmacht durch die USA ein großes Stück näher gerückt. Um das zu erreichen, wird - der eigenen Logik entsprechend - immer wieder provoziert. Atom- und Raketentests folgen einem festen Ablaufplan – genau wie die Präsenz Kim Jong-uns in der Öffentlichkeit.

„Business as usual“ im südkoreanischen Alltag

Wie wirkt die Zuspitzung der Nordkoreakrise auf die Südkoreanerinnen und Südkoreaner? Im nur rund 40 Kilometer von der Demilitarisierten Zone (DMZ) entfernt liegenden Großraum Seoul mit seinen rund 23 Millionen Einwohnern geht das Alltagsleben seinen Gang. Die Menschen gehen zur Arbeit, die Kinder in die Ferienschulen. Hamsterkäufe oder ähnliches gibt es nicht. Auch Reisen nach Guam, einem beliebten Ferienziel für Südkoreaner, finden so wie immer statt.

Der Schrecken, der durch die Berichterstattung in europäischen Medien zum Ausdruck gebracht wurde, ist in Südkorea so nicht zu spüren. Die Menschen haben gelernt, mit der Dauerkrise umzugehen. Man hat sich an die Drohungen und Provokationen aus Richtung Norden schlichtweg gewöhnt. In dieser Hinsicht ist die Situation heute nicht anders als vor drei Wochen, drei Monaten oder drei Jahren. In Seoul herrscht also keine Panik, zumindest aber - erstmals! - doch größere Besorgnis. Südkorea kann die weitere Entwicklung nur abwarten.

Kaum Optionen für die Regierung in Seoul

Seoul hat derzeit nur wenige Optionen. Die Politik wirkt verunsichert, fast ein wenig hilflos, vor allem weil man sich bei den entscheidenden Fragen nicht eingebunden wähnt. "Korea passing" ist zum geflügelten Wort geworden. Entscheidungen über das Schicksal der koreanischen Halbinsel würden in Pjöngjang, Washington oder Peking getroffen - nicht jedoch in Seoul. Dort wird gar befürchtet, dass es einer Nuklearmacht Nordkorea gelingen könnte, einen Keil zwischen Südkorea und die USA zu treiben. Die nukleare Komponente könnte bei einem konventionellen Angriff auf Südkorea die USA in Schach halten. Die USA und Südkorea seien zudem lediglich in einer "vertraglichen Allianz" verbunden, China und Nordkorea hingegen seien traditionell "Blutsbrüder", eine ungleich stärkere Verbindung.

Die Raketentechnik Nordkoreas ist in der Entwicklung weit fortgeschritten, weiter als lange Zeit angenommen. Es hat Fehleinschätzungen der Lage auch auf südkoreanischer Seite gegeben. So hat Präsident Moon noch im Juni in einem Interview die Bedrohung durch Nordkorea als nicht so dramatisch dargestellt. Nordkorea würde bluffen.

Wenn sich die Atom- und Raketentechnik für Nordkorea weiter erfolgreich entwickelt, verändert sich die Sicherheitsarchitektur. Dann verschieben sich die Gewichte in Nordostasien. Und die USA, China und Nordkorea würden als Nuklearmächte in der Region den „big deal“ am Verhandlungstisch unter sich ausmachen.

Wirkung der „Rhetorik-Bomben“?

Der Kampf der Worte zwischen Pjöngjang und Washington wird in Seoul regelmäßig auf vielfache Weise gedeutet. So sei die "Feuer und Wut"- Äußerung Trumps am 9. August gefallen, dem Jahrestag des Abwurfes der Atombombe auf das japanische Nagasaki. Auch das könne ein Zeichen, eine Botschaft, an das nordkoreanische Regime gewesen sein. Kim Jong-un und Donald Trump sind beide spontan und unberechenbar. Mancher Südkoreaner scheint sich derzeit mehr vor der Leichtfertigkeit des US-Präsidenten zu fürchten als vor der Dauerbedrohung durch Nordkorea.

„Die amerikanischen Waffen seien vorbereitet, geladen und entsichert.“ Diese und vergleichbare Tweets aus dem Weißen Haus sorgen in Südkorea regelmäßig für Kopfschütteln. Trump würde sich - für den Verbündeten Südkorea geht es doch um so viel - keinen Begriff von einem Krieg machen.

Wenn ein Angriff der USA auf Nordkorea erfolgen würde, um das nordkoreanische Raketenprogramm zu stoppen, wäre das aus Trumps Perspektive „over there“, also in Korea. Würden dann dort tausende Menschen sterben, wäre es für Trump eben nicht „over here“, in den USA. Diese Aussage des US-Präsidenten war ein Signal an die Südkoreaner, dass Trump unter gewissen Umständen bereit ist, Opfer auf südkoreanischer Seite in Kauf zu nehmen. Rhetorisch ist der Konflikt also maximal eskaliert.

Folgt dennoch eine Atempause?

Die Trump-Regierung und die Moon-Administration haben schon lange das Problem, dass sie nicht wissen, wie sie Nordkoreas Nuklearprogramm beenden können: Sanktionen, politischer Druck oder doch auf die nächste Eskalationsstufe setzen. Schon häufiger war der Konflikt in den letzten Jahren angespannt. Doch bisher hat sich die Lage am Ende immer wieder beruhigt.

Gilt das auch für die aktuellen Krise? Kleine Signale der Entspannung gibt es in diesen Tagen tatsächlich, auch aus Pjöngjang. Die Freilassung eines bislang inhaftierten kanadischen Staatsbürgers beispielsweise könnte so interpretiert werden. Zudem hat es bisher keine direkten Gespräche zwischen Donald Trump und Kim Jong-un gegeben. Das könnte - allen Schwierigkeiten zum Trotz - immer noch eine Option werden, die auch Trump selber nie gänzlich ausgeschlossen hat.

Verteidigungsminister James Mattis und Außenminister Rex Tillerson haben darauf hingewiesen, dass die Option eines militärischen Vorgehens gegen Nordkorea zwar auf dem Tisch liege, doch eine andere Lösung bevorzugt werde. Amerika habe nicht das Ziel eines Regimewechsels in Pjöngjang oder einer beschleunigten Wiedervereinigung und wolle der leidenden nordkoreanischen Bevölkerung keinen Schaden zufügen. Kim Jong-un hat daraufhin verlautbaren lassen, dass er hinsichtlich der ihm von seinen Militärs vorgelegten Pläne für einen Angriff auf Guam zunächst die weiteren Schritte der USA abwarten wolle.

Und der im Mai ins Amt gekommene südkoreanische Präsidenten Moon Jae-in hat klargestellt, dass eine militärische Eskalation keine Option ist und dass es keine Entscheidung über das Schicksal der koreanischen Halbinsel ohne Beteiligung seiner Regierung geben darf. Das waren die beiden zentralen Aussagen seiner Rede zum 15. August, dem „koreanischen Tag der Befreiung“.

Zeit also für Gespräche.

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Stefan Samse

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Leiter des Rechtsstaatsprogramms Asien

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