Asset-Herausgeber

von Thomas Sternberg

Christen und Muslime als Anwälte für den Frieden

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Der Terror hat eine religiöse Dimension bekommen. Die weitaus meisten der brutalen Angriffe sind Selbstmordattentate, bei denen die Täter den Tod bewusst in Kauf nehmen oder sich selbst zu lebendigen Bomben machen. Man fühlt sich an die „Kamikaze“-Angriff japanischer Piloten erinnert, die in den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges ihre Maschinen auf Schiffe der Amerikaner, Australier oder Briten steuerten. Viel ist über die Motivation der Selbstmörder gerätselt worden. In der Religionisierung des Terrors unserer Tage setzen Kampfgruppen auf die Wirksamkeit dessen, was als Martyrium erklärt und verklärt wird. Religiöse Traditionen und Begriffe, unverstanden, traditionslos und aus dem Zusammenhang gerissen, werden für mörderische Aktionen missbraucht.

Im christlichen Verständnis haben sich schon die Christen der ersten Jahrhunderte gegen ein Martyrium gewandt, das den Tod willentlich sucht; schon gar, um mörderische Aktionen damit zu unternehmen. Das islamische Verständnis des Schahid („Martyrium“) ist durchaus dem christlichen verwandt: Es erlaubt niemals Provokation oder gar Verbrechen. Die Terroristen islamistischer Bewegungen nutzen und pervertieren Elemente dieser Lehre für ihre Gräueltaten. Die meisten der Attentäter rufen vor dem Ausführen ihrer brutalen Verbrechen den Gottesnamen und missbrauchen mit dem Ruf des „Allahu akbar“ auch jede islamische Gottesvorstellung. Im September 2014 haben sich 122 hohe islamische Autoritäten in einer Fatwa an den Gründer der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) deutlich dazu geäußert.

In den Reaktionen auf Terrorangriffe hört man gelegentlich von islamischen Vertretern, der Terrorismus verlange nicht nach einem besonderen Protest der Muslime, zumal bei Attentaten anderer Terroristen auch keine Distanzierung von den Christen verlangt werde. Der Unterschied ist jedoch evident: Es geht um den ausdrücklichen Bezug auf den Gott des islamischen Glaubens, als dessen Vollstrecker sich die Terroristen sehen. Im Islamismus handelt es sich um die Pervertierung von Religion, um ein Vergehen gegen den Islam.

Terror und Religionsskepsis

In der aktuellen, verständlichen Angst vor dem Terrorismus droht eine vorschnelle und fatale Vermischung des islamistischen Terrorismus mit dem Islam. Die Begriffe Islam, Flüchtling, Sicherheit und Terror werden in der öffentlichen Debatte allzu oft und allzu schnell in eine unsachgemäße Verbindung gebracht. Für eine nur oberflächlich informierte Öffentlichkeit entstehen so gefährliche und falsche Verbindungen. In den Reaktionen der europäischen Bevölkerung kann damit eine hochgefährliche Begriffskoppelung entstehen, die zu einer antiislamischen Welle führen kann. Auch der Hinweis darauf, dass unter den Opfern islamistischen Terrors vor allem muslimische Opfer zu beklagen sind, hilft kaum weiter. Ungute Erinnerungen an den Beginn antisemitischer Bewegungen werden wach.

Die Befürchtungen einer Religion gegenüber, die unter den Generalverdacht salafistischer Radikalisierung gerät, sind zwar zumeist irrational, aber deutlich spürbar. Die Lösung für manche Vertreter der islamischen Verbände in Deutschland ist eine völlige Trennung des Themas Terrorismus vom Islam. Das ist aber weder einsichtig noch sachgerecht, weil die Durchsetzung islamischer Werte von den Tätern postuliert wird. Eine Religion, der man nicht zuletzt aus der Geschichte ihrer ersten Ausbreitung heraus eine positive Haltung zur Gewalt unterstellt, gerät in einen Generalverdacht.

Hinzu kommt, dass bei vielen Menschen Terrorakte im Namen einer Religion auf eine tiefe Religionsskepsis treffen. Eine populäre Auffassung sieht Gewaltpotenziale bereits im Monotheismus begründet. In der Verballhornung wissenschaftlicher Studien zur Religionsgeschichte sehen sie einen Aufklärungsbedarf, um die Religionen zu bändigen und erst friedensfähig zu machen. Dass diese These unrichtig ist, zeigt die jüngere Geschichte überdeutlich. Die größten Massenmorde der letzten 100 Jahre wurden von dezidiert antireligiösen Bewegungen verübt: vom Nationalsozialismus, Stalinismus und Maoismus. Nein – trotz nicht zu leugnender Gewaltgeschichten sind Religionen nicht dort gewalttätig, wo sie keine Aufklärung durchgemacht haben, sondern dort, wo sie ihre Traditionen vergessen haben, wie es Navid Kermani in seiner Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels für den Islam formuliert hat. Differenzierung innerhalb der Religionen selbst ist dringend notwendig, um die Abgrenzungen zu verdeutlichen.

„Nostra Aetate“ – „In unserer Zeit“

In dieser Situation sind wir Christen besonders gefordert. Wir müssen mit den gläubigen Muslimen gegen den Missbrauch und die Pervertierung von Religion vorgehen. Wir stehen als Christen in einer Verbindung zu unseren älteren Geschwistern im Glauben, den Juden, und den jüngeren, den Muslimen. In der Rückbindung an das Gottvertrauen Abrahams liegt unsere gemeinsame Wurzel.

Zu den nicht christlichen Religionen hat das Zweite Vatikanische Konzil 1966 ein Dokument beschlossen, das die Hochschätzung der anderen benennt. Unter dem Titel Nostra Aetate stellte es nicht allein das Verhältnis zu den Juden auf eine neue Grundlage, sondern fand auch wertschätzende Sätze über den Islam: „Mit Hochachtung betrachtet die Kirche die Muslime, die den allewigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde“ – heißt es dort mit Bezug auf Papst Gregor VII. aus dem Beginn des zweiten Jahrtausends. Mahnend formuliert das Konzil weiter: „Da es jedoch im Laufe der Jahrhunderte zu manchen Zwistigkeiten und Feindschaften zwischen Christen und Muslimen kam, ermahnt die Heilige Synode alle, das Vergangene beiseitezulassen, sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen.“ Christen sind nicht nur aus theologischen Gründen zum Dialog mit Muslimen aufgerufen, sondern in besonderer Weise dazu befähigt. Wer selbst weiß, was Religion und Frömmigkeit ist, wer fest in seinem Glauben steht, der kann sich öffnen für den anderen, für andere gläubige Menschen. Wer fest in seinem Glauben wurzelt, der wird nicht verunsichert durch die Begegnung mit anderen gläubigen Menschen, die ihre Religion lieben und leben. Mit ihnen gemeinsam kann man über den Glauben sprechen und sich gemeinsam absetzen gegen den weltweiten Terrorismus im Namen Gottes, gegen den Missbrauch von Religionen und gemeinsam für Frieden und Gerechtigkeit einstehen.

„NichtMitUns“

Am 17. Juni 2017 fand in Köln eine der eingeforderten Distanzierungen von Muslimen gemeinsam mit Christen statt. Auf Initiative der Publizistin Lamya Kaddor und des Friedensaktivisten Tarek Mohamad waren unter dem Motto „NichtMitUns – Muslime und Freunde gegen Gewalt und Terror“ etwa 1.000 Menschen in Köln zusammengekommen, um gemeinsam ein Zeichen gegen Terror im Namen des Islams zu setzen. Die Initiative haben der Gesprächskreis „Christen und Muslime“ beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und das Präsidium unterzeichnet und unterstützt.

Als Christen sind wir aufgerufen, im Dialog mit Menschen anderen Glaubens, mit Juden, Muslimen, aber auch mit Atheisten unser Zusammenleben in Deutschland, Europa und der Welt gemeinsam friedlich zu gestalten. Unser aller Interesse muss es unabhängig von Glaube, Herkunft und sozialer Schicht sein, gegen Rassismus und Diskriminierung und für das friedliche Zusammenleben aller Menschen und für unsere Demokratie gemeinsam einzustehen. Vor allem sind wir gefordert, wenn es darum geht, sich gegen Pauschalisierungen und feindliche Stimmungsmache gegen eine religiöse Gruppe zu wehren. Gewaltprävention ist und bleibt Aufgabe aller religiösen Menschen. Dass wir zwischen Islam und Terror klar unterscheiden, müssen wir den in Deutschland lebenden Muslimen durch unsere Unterstützung, Kooperation und öffentlichkeitswirksame Zeichen immer wieder signalisieren.

Der im ZdK angesiedelte Gesprächskreis „Christen und Muslime“ hat im vergangenen Jahr ein deutliches Zeichen gesetzt. Mit der Erklärung „Keine Gewalt im Namen Gottes. Christen und Muslime als Anwälte für den Frieden“ unterstreichen die Mitglieder gemeinsam das Friedenspotenzial ihrer Religionen. Sie sprechen sich entschieden gegen den Missbrauch ihrer Religionen und gegen die Legitimation von Gewalt „im Namen Gottes“ durch radikale Fundamentalisten und Extremisten aus. Gemeinsam zeigen sie auf, dass sowohl Christentum als auch Islam für Gerechtigkeit, das Wohl der Gemeinschaft, für die Schöpfung und den Frieden eintreten.

Dokument gegen den Missbrauch von Religion

Der rund 25 Seiten umfassende Text wurde von den Mitgliedern des Gesprächskreises gemeinsam erarbeitet und wird von allen gleichermaßen getragen. Im gemeinsamen Glauben an Gottes Gerechtigkeit, Güte und Barmherzigkeit sprechen sich Christen und Muslime für ein friedliches und barmherziges Miteinander aus und widersprechen entschlossen jeder Form von Gewalt, Unterdrückung, Unrecht und Unfrieden im Namen Gottes. Die dringliche Aufgabe, dem Missbrauch von Religion im Namen Gottes zu widersprechen, ist eine der Kernthesen der Erklärung. Dem Text sind die nachfolgenden acht Thesen vorangestellt; sie verdeutlichen das gemeinsame Anliegen und zeigen auf, wie Christen mit Muslimen gemeinsam ihrer Verantwortung vor Gott gerecht werden können:

  • Gott zur Rechtfertigung von Tötungen und Gewalttaten in Anspruch zu nehmen, ist Gotteslästerung.
  • Heilige Kriege gibt es nicht. Ziel Gottes ist der gerechte Friede. Daran muss sich menschliches Handeln ausrichten.
  • Als Christen und Muslime verurteilen wir jedweden Fundamentalismus, Radikalismus, Fanatismus und Terrorismus.
  • Bibel und Koran wollen die Menschen zu Gerechtigkeit und Frieden führen. Dem Missbrauch der Heiligen Schriften muss immer wieder entgegengetreten werden. Alle Möglichkeiten der Kommunikation und Aufklärung sind zu nutzen. Schule und Studium, Jugendarbeit und Erwachsenenbildung sowie die neuen sozialen Medien bieten Chancen dazu.
  • Die Ausbreitung des Glaubens darf niemals mit Zwang und Gewalt geschehen: Das Geschenk des Glaubens kann nur in Mitmenschlichkeit, Freundschaft, Nähe, friedvollem Umgang und im Einsatz für gerechte gesellschaftliche Strukturen bezeugt werden.
  • Wir sprechen uns gemeinsam für die Achtung des Menschenrechts auf Religionsfreiheit aus. Wir sehen uns verpflichtet, nicht nur die je eigene Religionsfreiheit und die je eigenen Rechte auf freie Ausübung der Religion einzufordern, wo Christen oder Muslime in der Minderheit sind, sondern die Angehörigen anderer Glaubensgemeinschaften zu achten und innerhalb der eigenen Glaubensgemeinschaft füreinander Partei zu ergreifen. Dies schließt ein, gegen die Verfolgung und Benachteiligung von Christen, die derzeit vor allem in zahlreichen mehrheitlich muslimisch geprägten Ländern geschieht, genauso wie gegen Diskriminierung und Ausgrenzung von Muslimen in Europa zu protestieren. Für die Religionsfreiheit einzutreten bedeutet, dass jeder seinen Glauben offen leben kann und schließt das Recht ein, die Religion zu wechseln oder keiner Religion anzugehören.
  • Feindbilder sind zu erkennen und zu überwinden. Der wachsenden Islamfeindlichkeit in Deutschland und Europa muss durch Aufklärung und Begegnung entgegengewirkt werden. Gläubige sollten sich um interreligiöse wie interkulturelle Kompetenz bemühen. Christinnen und Christen brauchen Basiswissen über den Islam, Musliminnen und Muslime brauchen Basiswissen über das Christentum. Notwendig sind jedoch vor allem Begegnung, Kennenlernen und Freundschaften.
  • Gewaltprävention ist eine Aufgabe für alle religiösen Menschen und deswegen auch eine interreligiöse Aufgabe: Überwindung von Gewalt, Verzicht auf Gegengewalt kann und muss erlernt und eingeübt werden. Im Vertrauen auf Gott sich selbst zurückzunehmen ist ein Schritt, um eine friedliebende Haltung und menschenfreundliche Verhaltensweise zu finden. Das gilt für den Lebensalltag wie für internationale Zusammenhänge.

„Suche Frieden“

Die genannten Punkte zeigen die Herausforderungen und Verpflichtungen in Deutschland und Europa. Der Appell zur Dialogarbeit beinhaltet vor allem die Aufforderung, sich ein Basiswissen über die jeweils andere Religion anzueignen. Als wichtiges Mittel zur Gewaltprävention müssen Bildung und Ausbildung in den Fokus gerückt werden. Die Etablierung des islamischen Religionsunterrichts sowie der Aufbau der islamischen Theologie an den deutschen Universitäten mit dem Ziel, deutschsprachige Religionslehrkräfte und Imame auszubilden, sind zwei dringend zu erreichende Meilensteine für die dauerhafte Integration der in Deutschland lebenden Muslime.

Im kommenden Jahr steht der vom ZdK ausgerichtete 101. Deutsche Katholikentag unter dem Leitwort „Suche Frieden“. Vom 9. bis zum 13. Mai 2018 ist er in Münster zu Gast. Fest etablierte Bestandteile des Katholikentagsprogramms sind der jüdisch-christliche Dialog und auch der christlich-islamische Dialog. Beide Bereiche werden mit Vertretern der jeweiligen Religion vorbereitet und sind ein gelungenes Beispiel für den Dialog der Religionen, der herausfordernd für beide Seiten ist.

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Thomas Sternberg, geboren 1952 in Grevenbrück, Altstipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung, 2005 bis 2017 Mitglied der CDU-Fraktion im Landtag Nordrhein-Westfalen, seit 2015 Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.

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