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Nachhaltigkeit global: Bericht aus Polen

von David Gregosz

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Noch zählt der Kohlesektor in Deutschlands größtem östlichem Nachbarstaat zu einem der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes. So gehört Polen zu den Top Ten der Kohleförderländer weltweit. Kohle findet insbesondere in der Energiewirtschaft Verwendung. Über siebzig Prozent des polnischen Stroms wird aus Kohlekraft gewonnen. Allein das Kraftwerk Bełchatów, zweitgrößtes Kohlekraftwerk der Welt, versorgt zwanzig Prozent der polnischen Haushalte mit Elektrizität. Dennoch fiel der Kohleanteil in den letzten Jahren deutlich. Vor zehn Jahren wurden noch über neunzig Prozent des Stroms aus dem „schwarzen Gold“ gewonnen.

Die polnische Regierung will den Anteil der Kohle an der Energiegewinnung mittel- bis langfristig senken. Laut einem im September 2020 vorgestellten Strategiepapier zur Energiepolitik (Polityka energetyczna Polski do 2040 r., PEP2040) soll der Kohleanteil bis 2030 auf 56 Prozent sowie bis 2040 auf achtzehn Prozent sinken. Bis 2049 sollen die letzten Schächte und Tagebauanlagen geschlossen werden. Im Vergleich zu den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) liegt Polen damit weit hinten, würde jedoch unmittelbar vor dem Jahr 2050, in dem die Europäische Union die Klimaneutralität erreicht haben will, den Ausstieg aus der Kohle vollziehen.

Der Rückzug aus der Kohle ist ein bereits länger anhaltender Trend. Seit vierzig Jahren sinkt die Fördermenge in Polen kontinuierlich. Lag die Steinkohleförderung zu Beginn der 1980er-Jahre noch bei 200 Millionen Tonnen jährlich, ist sie seither auf ein Viertel dieses Wertes gefallen. Für den Zeitraum von Januar bis November 2020 sank der Braunkohleabbau erneut um 8,7 Prozent und der Steinkohleabbau um 11,9 Prozent.

Trotz dieses Rückgangs hatte die polnische Regierung zunächst auf dem Erhalt des Kohlesektors bestanden. Sie tat dies insbesondere mit Rücksicht auf die 80.000 Beschäftigten in diesem Wirtschaftszweig sowie auf die ungefähr 500.000 Beschäftigten im weiteren Umfeld dieses Sektors. „Kohle bleibt für uns eine zentrale Form der Energiegewinnung“, versicherte auch Ministerpräsident Mateusz Morawiecki bei seiner Antrittsrede 2017. Noch im Präsidentschaftswahlkampf 2020 hatte Präsident Andrzej Duda mit sicheren Arbeitsplätzen für die Bergleute geworben.

Ökonomische sowie ökologische Gründe haben in den letzten Monaten zu einem Umdenken in der polnischen Regierung geführt. Polens Klimaminister Michał Kurtyka verlautbarte Ende Juni 2020, dass ihn die gegenwärtige Pandemie in der Überzeugung bestärkt habe, dass der Weg der Transformation hin zu niedrigen und Netto-null-Emissionen absolut richtig sei. Polen unterstütze Brüssels Bestrebungen, bis 2050 eine Klimaneutralität in der Europäischen Union zu erreichen. Allerdings, so schränkte Kurtyka ein, hänge dies von der „Verfügbarkeit der Mittel für die Energieumwandlung, der gesellschaftlichen Akzeptanz und der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie ab“.

Tatsächlich ist das vom Klimaminister genannte ökologische Argument ein wichtiges. Insbesondere die Luftverschmutzung ist in Polen ein Problem. Unter den fünfzig Städten mit der schlechtesten Luftqualität in der Europäischen Union liegen 33 Städte in Polen. Nach Angaben der Europäischen Umweltagentur sterben hier jedes Jahr 45.700 Menschen vorzeitig an den Folgen der Luftverschmutzung.

Trotz dieser Problematik und der EU-Klimapolitik muss darin nicht der Hauptgrund für den Kohleausstieg in Polen gesehen werden. Als Beschleunigungsfaktor erweist sich insbesondere die anhaltende Pandemie. „Die Coronakrise wird riesige Summen kosten. Aus Sicht der Staatsfinanzen können wir den Abbau von Kohle nicht länger finanzieren“, erklärte unlängst ein anonymer Regierungsvertreter gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.

Das ökonomische Argument erwächst nicht aus der Krise. So zeigte sich in den letzten Jahren, dass die Konkurrenzfähigkeit polnischer Kohle auf dem Weltmarkt stetig abnimmt. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Zum einen ist die polnische Kohle – insbesondere wegen ihres hohe Aschegehalts – von geringerer Qualität als die Konkurrenzprodukte aus Russland, Australien oder Kolumbien. Auch weist sie einen geringen Heizwert auf. Je höher dieser ist, desto geringer die Emissionen, was einen wichtigen Kostenfaktor darstellt.

Auf die Konkurrenzfähigkeit wirkt sich ebenfalls die Lage der Kohleflöze aus: Steinkohle ist meist erst in Tiefen von 700 bis zu 1.300 Metern zu finden. Dies hat zur Folge, dass polnische Bergarbeiter pro Jahr statistisch weniger Tonnen Kohle fördern als die ausländische Konkurrenz. Im Vergleich kostet russische Kohle nur ungefähr ein Drittel des polnischen Preises. Unterboten wird die russische Kohle noch von Kohle aus Kolumbien und Südafrika. Inzwischen hat sich die polnische Kohleförderung zum Verlustgeschäft entwickelt. Der Kohlesektor fuhr in den letzten Jahren zum Teil immense Verluste, teils in dreistelliger Millionenhöhe, ein.

Aufgrund der großen Konkurrenz aus dem Ausland hatten Gewerkschafter unlängst einen Importstopp für Kohle aus dem Ausland gefordert. Die polnische Regierung griff diese Forderung auf und verbot den Kauf ausländischer Kohle durch die zahlreichen staatlichen Betriebe. Dies trifft insbesondere auf den größten Energiekonzern Polska Grupa Energetyczna (Polnische Energiegruppe, PGE) zu, dessen Anteilseigner mehrheitlich der Staat ist.

Trotz des hauptsächlich aus der Unwirtschaftlichkeit der Kohle resultierenden Ausstiegs dauert die Diskussion um den Bau neuer Tagebauanlagen und Gruben in Polen an. In Schlesien scheiterte die PGE unlängst mit dem Versuch, ein neues Vorkommen zu erschließen. In Złoczew (südwestlich von Łódź) tobt derzeit ein Rechtsstreit um einen neuen Tagebau. Große Aufmerksamkeit erlangten zuletzt tschechische Proteste gegen den sich in Grenznähe befindenden Braunkohletagebau Turów, gegen dessen Ausbau Prag vor dem Europäischen Gerichtshof klagen will. Gleichzeitig wurden die Bauarbeiten an einem Kohlekraftwerk in Ostrołęka gestoppt, was zu einer staatlichen Fehlinvestition von mindestens 280 Millionen Euro geführt hat.

Polen steht mit Blick auf seinen Kohlesektor in den nächsten drei Jahrzehnten vor immensen Herausforderungen, Diskussionen und Kompromissen. Zwar scheint der Kohleausstieg in Polen politisch und gesellschaftlich mittlerweile gewollt, jedoch wird er eine tiefgreifende Energiewende zur Folge haben. Warschau hat damit einen Wandel weg von der Kohle hin zu erneuerbaren Energien, jedoch auch zur Kernkraft eingeläutet. Insbesondere die Kernkraft wird in Polen als eine Möglichkeit erachtet, die Energiegewinnung aus Kohle zu ersetzen. Planungen für ein erstes Atomkraftwerk in Pommern nehmen derzeit konkrete Gestalt an. Für die polnischen Konsumenten wird sich diese Energiewende insbesondere im Strompreis niederschlagen. So soll dieser, bedingt durch den Strukturwandel, mindestens bis 2030 steigen.

 

David Gregosz, Leiter des Auslandsbüros Polen der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Warschau

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